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KAVG, HSBI, TH OWL und DIN geben Startschuss für Forschungsinfrastruktur „Smart Recycling Factory“ auf der Pohlschen Heide

Hochschulen, Transferpartner und Verwaltungen erarbeiten ab sofort auf dem Deponiegelände in Hille gemeinsam zukunftsfähige Konzepte für die Kreislaufwirtschaft. Die Gebäude werden nun modular errichtet, um die finanziellen Risiken des Hochbauprojektes zu minimieren.

Endlich kann es losgehen: Der Aufsichtsrat der Kreis-Abfall-Verwertungsgesellschaft mbH Minden Lübbecke (KAVG) hat den Weg freigemacht für die Umsetzung der Forschungsinfrastruktur „Smart Recycling Factory“ auf der Deponie Pohlsche Heide. So konnten sich im Juni die Projektbeteiligten aus Hochschulen, Verwaltung und Transferpartner am Standort in Hille zu einem ersten „Kickoff“-Meeting treffen. Es galt, Einblicke zu erhalten in die angepassten Planungen des Gebäudekomplexes und in die Teilprojekte.

Zum Hintergrund: Der Start der Smart Recycling Factory hatte sich zunächst verzögert, weil der zu erwartende finanzielle Eigenanteil der KVAG am Projekt gestiegen war und Anpassungen am Vorhaben notwendig machte. Jetzt wird die vom Land NRW über EFRE-Mittel finanzierte Forschungsinfrastruktur in modularer Bauweise errichtet. So bleibt das Vorhaben in seiner Leistungsfähigkeit erhalten und entspricht weiterhin den Bedingungen der Fördermittelgeber. Gleichzeitig ist das wirtschaftliche Risiko der KAVG erheblich reduziert, nachdem das Architekturbüro Kleyer Koblitz Letzel Freivogel den Entwurf der Smart Recycling Factory als „wachsendes Gebäude“ überarbeitet hat und der nun kompaktere, multifunktionale Bau am Eingang der Pohlschen Heide geringere Baukosten bei voller Funktionalität ermöglicht. Henning Schreiber, Geschäftsführer der KAVG, brachte bei der Begrüßung zum Kick-off-Meeting seine Freude darüber zum Ausdruck, dass nun mit der Unterstützung der Politik des Kreises Minden-Lübbecke dieses für die Kreislaufwirtschaft wesentliche Projekt gemeinsam mit den Partnern am Standort Pohlsche Heide auf den Weg gebracht werden kann.

Drei Teilprojekte: Multifunktionsgebäude, digitale Infrastruktur, Baubegleitforschung
Darum geht es in dem Förderprojekt: Der Deponiestandort Pohlsche Heide soll in den kommenden Jahren zu einem effizienten Lager und Aufbereitungszentrum von im besten Fall zu 100 Prozent wiederverwertbaren Wertstoffen weiterentwickelt werden. Interdisziplinäre Teams aus Hochschulen, Transferpartnern und Verwaltungen sollen hier Innovationen generieren für eine tatsächliche Kreislaufwirtschaft, möglichst ohne Downcyclingeffekte. Mit von der Partie sind neben der KAVG, das Deutsche Institut für Normung (DIN), die Hochschule Bielefeld (HSBI) und die TH OWL.

Gegliedert ist das Vorhaben in drei Teilprojekte: Im Teilprojekt 1 geht es um die Errichtung der bau-räumlichen Infrastruktur, die ein Innovationszentrum, eine Forschungshalle und ein Transferzentrum umfasst. Im Teilprojekt 2 wird die gesamte digitale Infrastruktur erarbeitet. Hier geht es zum einen um die Schaffung eines Industrial Metaverse, in dem KI-basiert automatisierte Entscheidungen und Simulationen für das gesamte Ressourcenzentrum entwickelt werden. Zum anderen soll ein Digitaler Produktpass entwickelt werden, der die Basis für die Optimierung der Recyclingfähigkeit von Materialien und Produkten ist. Das Teilprojekt 3 schließlich betreibt Begleitforschung am Bau und wird sicherstellen, dass Erkenntnisse zum zirkulären Bauen in den Bauprozess einfließen. Das Bauvorhaben selbst wird damit zu einem Reallabor u.a. für die Anwendung eines Gebäuderessourcenpasses.

Industrial Metaverse: Digitale Zwillinge, digitaler Produktpass, maschinenlesbare Kennzeichnung
Das Industrial Metaverse soll die gesamte Smart Recycling Factory auf verschiedenen Ebenen modellieren und analysieren. Am Campus Minden der HSBI entwickeln die Teams um Prof. Dr. Sven Battermann, Prof. Dr. Jan Rexilius, Prof. Dr. Philip Wette und Prof. Dr. Oliver Wetter gemeinsam neue Möglichkeiten zur Vorausplanung, Überwachung und Steuerung der Recyclinganlage. Grundlage dafür sind KI-gestützte Sensor- und Robotersysteme. Digitale Zwillinge werden reale und simulierte Daten kombinieren, um eine ganzheitliche Optimierung der Recyclingabläufe im Sinne der Nachhaltigkeit zu ermöglichen. Zu diesem Zweck wird in den Räumen des Instituts für intelligente Gebäude (InfinteG) am Campus Minden eine Demonstrator-Anlage geplant und gebaut, die die KI-gestützten Anwendungen erlebbar und überprüfbar macht.

Ebenfalls im Teilprojekt 2 „Digitale Forschungsinfrastruktur“ angesiedelt sind Forschungen zum Digitalen Produktpass. Hierbei handelt es sich um einen Datensatz, der Informationen zu den in einem entsorgten Produkt verwendeten Materialien enthält. Darüber hinaus soll der Digitale Produktpass Aufschluss geben über Nutzung, Reparierbarkeit, Recyclingfähigkeit, Ersatzteile und Entsorgung. Er ist gleichsam eine digitale Akte, die über den gesamten Lebenszyklus eines Produkts geführt wird. Wie diese Informationen digital abgebildet, jederzeit ergänzt und für unterschiedliche Personenkreise abrufbar gemacht werden können, damit beschäftigt sich das Team um Prof. Dr. Rainer Rasche von der TH OWL. Die EU hat mit der Ökodesign- und der Bauprodukte-Verordnung die Rahmengesetzgebung geschaffen, die Hersteller verpflichtet, Digitale Produktpässe anzubieten. Um sicherzustellen, dass die regulatorischen Anforderungen bei der Konzeptionierung des Digitalen Produktpasses berücksichtigt werden, beteiligt sich das Team um die Wirtschaftsrechtlerin Prof. Dr. Christiane Nitschke von der HSBI ebenfalls an dem Projekt.

Damit nicht genug: Um die Daten für den Digitalen Produktpass überhaupt abrufbar zu halten, bedarf es einer physischen Kennzeichnung am Objekt. Diese muss maschinenlesbar, je nach Verwendungszweck aber nicht unbedingt für das menschliche Auge erkennbar sein. Welche Möglichkeiten solcher sensorerweiterten Hardwarecodes es gibt und welche Technologien je nach Anwendungszweck dafür nutzbar gemacht werden können, erforscht das Team um die Physiker Prof. Dr. Sonja Schöning und Prof. Dr. Christian Schröder vom Bielefelder Institut für Angewandte Materialforschung (BIfAM) an der HSBI. 

Langfristiges Ziel: Übertragbare Erkenntnisse für künftige öffentliche Bauprojekte gewinnen
Im Mittelpunkt des Teilprojekts 3 „Begleitforschung am Bau" steht die Untersuchung von Planungs- und Bauprozessen in Hinblick auf Nachhaltigkeit, Ressourceneffizienz und Ressourcenschonung. Die Erkenntnisse aus der Anwendung ausgewählter Methoden und Bilanzierungswerkzeuge, u.a. die Erstellung eines Gebäuderessourcenpasses, sollen als Empfehlungen in den Bauprozess einfließen und langfristig übertragbare Erkenntnisse für künftige öffentliche Bauprojekte liefern. Der Fokus liegt auf kreislaufgerechter Konstruktion und Materialauswahl beim Bauen. Untersucht werden die Demontierbarkeit und Rückbaufähigkeit sowie das Wiederverwendungspotential von Materialien. Im Rahmen der Begleitforschung wurden bereits durch das federführende Team um Bauingenieurin Prof. Dr. Susanne Schwickert von der Detmolder Schule für Gestaltung der TH OWL und Prof. Dr. Heiko Twelmeier vom Campus Minden der HSBI erste Konstruktionsdetails qualitativ bewertet und mögliche Optimierungspotentiale aufgezeigt. So konnte der Vorentwurf in das Gebäuderessourcenpass-System der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen eingetragen werden.

Neben den beiden Hochschulen ist als weiterer Projektpartner DIN im Teilprojekt Begleitforschung am Bau aktiv. Normung im Bereich der Kreislaufwirtschaft ist entscheidend für die Förderung nachhaltiger Praktiken und die effiziente Nutzung von Ressourcen. Als bedeutende Normungsorganisation stellt DIN im Rahmen des Projekts eine umfassende Übersicht über relevante Normen und Standards bereit und integriert die Projektergebnisse in ihre laufenden und künftigen Standardisierungsaktivitäten. Die während der Förderperiode erstellten Standardisierungsdokumente sollen langfristig als Fundament für europäische und internationale Normungsinitiativen dienen. Diese Dokumente sollen zur Entwicklung neuer, zukunftsweisender Normen im Bereich der Kreislaufwirtschaft beitragen.

Fazit: Die Smart Recycling Factory bildet die Basis für vielfältige Forschungs- und Entwicklungsvorhaben, eröffnet verschiedenen Akteuren die Mitgestaltung des gesellschaftlichen Transformationsprozesses hin zu einer „Green Economy“, sucht nach Innovationen mittels Digitalisierung, Robotik und KI und verbessert die Ressourceneffizienz in OWL. Aktuell werden der Bauantrag sowie der Änderungsantrag für die Förderung erarbeitet. Nach Genehmigung durch das Bau- und Planungsamt des Kreises Minden-Lübbecke sowie durch die Bezirksregierung kann die Realisierung der Bauinfrastruktur starten. Die Vizepräsidenten für Forschung der HSBI und der TH OWL, Prof. Dr. Anant Patel und Prof. Dr. Stefan Witte, zeigten sich in einer gemeinsamen Erklärung davon überzeugt, dass sich die staatlichen Hochschulen, gemeinsam mit Kreis und Wirtschaft, durch die Forschungsinfrastruktur „Smart Recycling Factory“ als Vorreiter bei der Kreislaufwirtschaft in OWL und darüber hinaus positionieren können. 

Weitere Informationen:

Link: https://www.th-owl.de/gestaltung/
Link : https://smart-recycling-factory.com/