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Erfolg ist eine Gemeinschaftsleistung

Mit Leidenschaft und Opferbereitschaft: Das OWL Racing-Team ist ein Paradebeispiel für Teamgeist, Wissenstransfer und fachbereichsübergreifende Zusammenarbeit. Warum Studierende sich an der TH OWL als Nummer eins fühlen dürfen, auch wenn sie mal nicht als Erste ins Ziel kommen, zeigt dieser Bericht.

Der Rennwagen rauscht über die Ziellinie. Scharf biegt er ab und kommt mit quietschenden Reifen in der Werkstattecke zu stehen. Die ohnehin schon hektische Betriebsamkeit steigert sich ins schier Unermessliche. Die Diagnose ergibt, die Elektronik des leichtgewichtigen Elektroboliden ist unauffällig. Alle Systeme arbeiten innerhalb ihrer Parameter. Nichts riecht heißgelaufen oder gar verschmort. Das ist gut.

Aber gibt es ein mechanisches Problem? Harmoniert das Aerodynamik-Setup mit dem Streckenprofil? Die Routineüberprüfung relevanter Komponenten muss es jetzt ans Licht bringen. Auch diejenigen Teammitglieder, die sich gerade noch völlig übermüdet von den Strapazen des Renneinsatzes auf dem harten Boden in einer Ecke zusammengerollt hatten, sind plötzlich hellwach. Alle Sinne auf Empfang. Das Adrenalin verleiht ihnen Flügel – nicht der bekannte Energydrink. Alle wissen: Erfolg ist eine Gemeinschaftsleistung.

So oder so ähnlich geht es bisweilen zu, wenn das OWL Racing-Team der Technischen Hochschule Ostwestfalen-Lippe mit seinem selbstkonstruierten und selbstgebauten Wettbewerbsfahrzeug an einem Lauf der Formula Student teilnimmt, einer internationalen Rennserie mit Teams von Hochschulen und Universitäten aus aller Welt. Der erste Wettbewerb wurde 1979 von der Society of Automotive Engineers (SAE) in den USA abgehalten und hat sich inzwischen zum weltweit größten Ingenieurswettbewerb weiterentwickelt. Höhepunkt der nun zu Ende gegangenen Saison war das Rennen auf dem Hockheimring im August mit knapp 200 Hochschulmannschaften, viele davon aus Übersee, darunter einige Hochkaräter.

Zurück in Lemgo: Der Trubel hat sich beim OWL Racing-Team inzwischen ein wenig gelegt. Das Fahrzeug der Rennsaison 2022/2023, intern „OWL 2.3“ genannt, eine Evolutionsstufe des 2022er Modells, bekommt eine Pause. Dennoch wird in der Werkstatt im Erdgeschoss des InnovationSPIN auf dem Innovation Campus in Lemgo kräftig getüftelt, geschraubt, konstruiert und weiterentwickelt. Nach der Saison ist vor der Saison. Die Arbeiten für das neue Auto, eine komplette Neuentwicklung übrigens, laufen auch Hochtouren. Version „2.4“ soll Mitte kommenden Jahres fertig sein.

Das Rad müssen die fünf Studentinnen und 15 Studenten aus vielen Fachbereichen der TH OWL zwar nicht neuerfinden, doch das Konzept und die Entwicklungsarbeit muss bis Weihnachten stehen, die Kosten dürfen aber trotz Teileknappheit und Inflation nicht aus dem Ruder laufen. Das Rennteam ist wie eine kleine Firma, die wirtschaftlich arbeiten und sauber Buch führen muss. Das erwarten auch die Sponsoren, die ideell, finanziell oder mit Material unterstützen.

Bei den Wettbewerben der Formula Student geht es nämlich nicht (nur) darum, möglichst schnell vom Start zum Ziel zu gelangen. Unter die Lupe genommen wird alles: Die Dokumentation, die Wirtschaftlichkeit, das Design – um nur einige Kriterien zu nennen. Und natürlich das Auto selbst. „Viele Teams scheitern vor den Rennläufen bereits am Technik-Check“, berichtet Paul Hausmann, der Wirtschaftspsychologie studiert und das OWL Racing-Team managt.

Alle Fahrzeuge unterliegen einem Reglement, so ist beispielsweise die Motorleistung auf 80 Kilowatt (rund 109 PS) begrenzt. Daraus resultiert für so einen rund 230 Kilogramm leichten Flitzer ein beachtliches Leistungsgewicht. Und da das Auto des Lemgoer Teams rein elektrisch unterwegs ist, braucht es einen potenten Energiespeicher, der hohe Ströme schnell abgeben kann. Der 60 Kilo schwere Lithium-Ionen-Pack ist – möglichst weit unten, möglichst mittig – hinter dem Sitz untergebracht. Die Systemspannung liegt bei 600 Volt, die Kapazität bei 6,4 Kilowattstunden. „Das ist kein Spielzeug!“, betont Professor Dr. Andreas Paa, Experte für Antriebstechnik aus dem Fachbereich Maschinenbau und Mechatronik, der das Projektteam hochschulseitig betreut.

„Die Einzelzellen ähneln wie bei kommerziellen Elektroautos auch Laptop-Akkus. Die Traktionsbatterie haben wir selbst entwickelt. Die 144 Zellen werden von unserem eigenen Batteriemanagementsystem jeweils separat überwacht“, erläutert Till Söffgen, der Elektrotechnik studiert. „Und da so eine Traktionsbatterie teuer ist, muss sie mehrere Saisons halten.“

Studierende, die beim OWL Racing-Team mitwirken und ihr Know-how einbringen wollen, sind herzlich willkommen. Die Truppe ist bunt. Spezifisches Fachwissen ist nicht erforderlich, schadet jedoch nicht. „Was man können muss, lernt man hier von den anderen“, erklärt Anessa Omeragic, zuständig für Finanzen und Sponsoring. Die Studentin der Kosmetika- und Waschmitteltechnologie ergänzt: „Was man mitbringen muss, ist Leidenschaft und die Bereitschaft, hier einen Teil seiner Freizeit zu verbringen.“

Paul Hausmann fügt hinzu: „Bedingt durch das Studium werden die Teammitglieder kontinuierlich durchgetauscht, daher ist der Wissenstransfer so wichtig. Eine Generation gibt ihr Wissen an die nächste weiter. Aber viele Ehemalige halten Kontakt, kommen vorbei und unterstützen uns. Bis man hier so richtig im Thema ist, braucht man schon etwa ein Jahr.“

Dass die Werkstatt im April aus einer alten zugigen Halle in das moderne InnovationSPIN-Gebäude an der Ecke Bunsenstraße/Campusallee umziehen konnte, war für das gesamte Rennteam ein Gewinn. „Nun können wir unabhängig von der Witterung unsere Carbonteile für das Chassis verarbeiten, das war vorher nicht möglich, manchmal war es einfach zu kalt“, erinnern sich Paul Hausmann und Anessa Omeragic. Den Umzug in die neuen Räume empfindet das Team als Zeichen der Wertschätzung. „Hier sind wir auch viel sichtbarer, die Hochschule hat erkannt, dass so ein Racing-Team genau das macht, was Ziel der Ausbildung ist: Hier erweitert und vertieft man das Erlernte, um das Wissen selbstständig in neue innovative Produkte umzuwandeln.“

Vom in der 20-köpfigen Gruppe herrschenden Teamgeist konnte sich beim Rennen in Hockenheim auch Professorin Dr. Uta Pottgiesser, Vizepräsidentin für Kultur, Kommunikation und Internationales, überzeugen. „Es war beeindruckend zu sehen, was die Studierenden hier gemeinsam geleistet haben und den Zusammenhalt zu erleben. Unser Team ist top eingespielt, Tag und Nacht wurde am Auto gearbeitet, alle haben sich gegenseitig motiviert“, schwärmt Uta Pottgiesser. „An der Veranstaltung in Hockenheim waren Teams renommierter Universitäten und Hochschulen aus der ganzen Welt vertreten.“

Und einen weiteren Aspekt bringt Andreas Paa ins Spiel: „So ein Event ist auch eine riesige Recruiting-Börse der Auto- und Zulieferindustrie. Wer sich in einem Racing-Team engagiert und seine Freizeit opfert, zeigt damit seine Leidenschaft für das Thema. Solche Leute wollen und suchen die Unternehmen händeringend.“ Auch wenn die Studierenden nicht immer als Erste über die Ziellinie rollen, am Beispiel des Rennteams ist gut zu erkennen, dass die Nachwuchsfachkräfte für die TH OWL stets die Nummer eins sind!